Mein erster
Marathon (Einen Erlebnisbericht von
Peter Hamann)
Am 12.
Oktober 2003 war es endlich soweit. Da sollte es sich
zeigen, ob die monatelange Vorbereitung sich gelohnt
hat, ob ich es wirklich schaffen würde mehr als
42km durchzulaufen. Eigentlich war es unvorstellbar.
Wie alles begann
Der Marathon
begann für mich schon im Sommer, als ich den Entschluss
fasste, nicht bis nächstes Jahr zu warten, sondern
dieses Jahr im Herbst den Marathon zu laufen. Am Anfang
galt es festzulegen, welche Veranstaltung es nun sein
sollte. Mittlerweile finden Marathons schon fast jedes
Wochenende statt. Der Baldeneysee in Essen bot sich
aber als nahezu ideal an. Einerseits ist der Marathon
nicht so groß, dass man in einer anonymen Menge
mitläuft, andererseits konnte man sehr kurzfristig
entscheiden ob man teilnehmen möchte oder nicht.
Der Berlin- oder Kölnmarathon beispielsweise waren
schon sehr früh ausgebucht. Ein weiterer Grund,
der für den Baldeneysee spricht, ist die Natur.
Idyllisch zwischen Essen-Werden und Kupferdreh gelegen,
wird fast die gesamte Strecke von viel Grün umsäumt
und von Mülheim ist es nur ein Katzensprung weit
entfernt.
Die Vorbereitung
Jetzt
hieß es erst einmal trainieren, denn ein Marathon
ist mehr als 2x Halbmarathon zu laufen. An dem Tag muss
alles stimmen, konditionell und psychologisch. Im Internet
und in der Fachliteratur finden man genug Informationen,
um sich optimal vorzubereiten. Jeder kann sich das für
ihn Passende heraussuchen.
Die nächsten
Wochen wurden bestimmt von langsamen und schnelleren
Ausdauerläufen, Tempotraining und Fahrtspiel (eine
besondere Form des Tempotrainings). Wer masochistisch
veranlagt ist, trainiert auch gern an Bergen und anderen
Anstiegen. Nach und nach erhöhte ich den Anteil
an langen Ausdauerläufen, so dass ich zum Schluss
30km am Stück lief. Ich hoffte innerlich, dass
es reichen würde, sicher war ich mir nicht.
Zur Vorbereitung
gehörte auch die Verpflegung. Verschiedene kohlenhydratreiche
Energieriegel und Gels wurden getestet. Drei Tage vor
dem Start bastelte ich mir eine Tempotabelle, auf der
die Kilometerzeiten für eine Endzeit von 3h 45min
festgelegt wurden.
Außerdem
versuchte ich die körpereigenen Kohlenhydratspeicher
aufzufüllen. Das geht am besten mit Nudel- oder
Reisgerichten, wobei Nudeln oder Reis den Hauptanteil
der Nahrung ausmachen sollten.
Der Tag X
Wie nicht
anders zu erwarten, verlief die letzte Nacht nicht optimal.
Sei Tagen ging mir der Lauf schon nicht mehr aus den
Kopf. Das machte sich in einem leichten Schlafdefizit
bemerkbar, was allerdings keine Rolle spielte, da der
Adrenalinspiegel unaufhörlich stieg.
Ein leichtes
Frühstück mit Weißbrot und Honig sollte
die nötige Ruhe bringen. Anschließend wurde
der Getränkegürtel vorbereitet, als ideales
Getränk für unterwegs hielt ich Wasser mit
darin gelöstem Powergel für sinnvoll.
Mit dem
Auto ging es hin zum Baldeneysee. Der Start sollte um
10:00Uhr sein. Kurz nach Neun waren die Parkplätze
in Startnähe schon alle belegt, so dass ein längerer
Fußmarsch dazu kam. Das Wetter war für uns
Läufer wie bestellt. Die morgendliche Frische,
die manch einen Sportler noch zittern ließ, wurde
bald durch eine Sonne am wolkenlosen Himmel abgelöst.
So nach und nach füllte sich der Startbereich mit
den Läufern und Läuferinnen. Die meisten entschieden
sich, in kurzen Sachen zu laufen.
Der Start
Pünktlich,
10sec vor 10:00Uhr wurde die Zeit runtergezählt.
Der Startschuss ertönte an der Freiherr-vom-Stein-Straße.
Die Schar aus ca. 1800 Läufern und 200 Läuferinnen
setzte sich in Bewegung. Der erste Teil der Strecke
führte über die Straße Richtung Stadtteil
Werden. Es galt zwei Runden um den Baldeneysee zu absolvieren.
Da der Rundkurs max. 17km lang ist, wurde die erste
Runde um eine Wendeschleife auf der Wuppertaler Straße
erweitert. Aber soweit war es noch nicht.
Zu Beginn
des Laufes ist es wichtig, sich nicht von der allgemeinen
Euphorie mitreißen zu lassen. Kräfte sparen
war schon ganz am Anfang die Devise, denn der Weg zum
Ziel war lang und manch ein Läufer hatte in der
Vergangenheit zur Hälfte der Strecke aufgegeben.
Also hieß es Herzfrequenz und Kilometerzeiten
zu beachten und konsequent einzuhalten.
Nach
dem Start ging es zuerst Richtung Süden am Wehr
vorbei. Über die Gustav-Heinemann-Brücke am
Kilometer 3 erreichten wir das andere Ruhrufer. Nach
einem kurzen Stück durch die Stadt führte
der Weg jetzt immer am Seeufer entlang Richtung Osten.
Am Anfang waren alle Läufer noch gut drauf. Nichts
schien uns stoppen zu können. Am Kilometer 6 erreichten
wir den ersten Verpflegungspunkt. Neben Wasser gab es
auch isotonische Getränke und Tee zu trinken. Um
die Energiereserven aufzufüllen, wurden Bananen
angeboten. Es ist sehr wichtig schon frühzeitig
mit dem Essen und Trinken anzufangen, Defizite lassen
sich später nicht mehr ausgleichen.
Erst zehn Kilometer
Weiter
ging es zum Kilometer 10. Hier konnte man schon den
Wendepunkt der zweiten Seerunde, die Kampmannsbrücke,
sehen. Auf der ersten Runde ging es allerdings nicht
direkt zurück, denn zuerst musste die Schleife
in Angriff genommen werden, und die zog sich ganz schön
hin. Ca. 2,5km die Wuppertalerstraße rauf und
die gleiche Strecke wieder runter. Am Wendepunkt, ungefähr
Kilometer 15, erfolgte eine Kontrollmessung, damit keiner
auf die Idee kam, einfach abzukürzen.
Damit
die Läufer nicht gar zu einsam unterwegs waren,
hatten Musikkapellen, Schülerbands oder Bongogruppen
verschiedener Lauf- und Interessenvereine über
die Strecke verteilt Aufstellung genommen, die die Läufer
u.a. mit Sambarhythmen kräftig unterstützten.
Auch viele Zuschauer, besonders im Start-Ziel-Bereich,
trugen mit Beifall und Anfeuerungsrufen dazu bei, den
Läufern zu helfen.
Halbzeit
Nach
knapp zwei Stunden hatte ich am Kilometer 20,95 die
Hälfte der Strecke absolviert. Noch fühlte
ich mich frisch und hatte das Gefühl, dass es „ewig“
so weitergehen könnte.
Nach
24,5 km kamen wir das erste Mal am Ausgangspunkt an.
Hobbyläufer wie ich, waren an dieser Stelle teilweise
zwei Stunden oder länger unterwegs. Schon wenige
Minuten später würden die Profis durchs Ziel
gehen. Die hatten dann schon die zweite Runde hinter
sich. Für mich und viele andere hieß es jetzt,
die zweite Runde anzugehen. Jetzt kam einem schon alles
bekannt vor, wieder Richtung Werden, wieder über
die Brücke und dann immer am See entlang. Jetzt
kam der Zeitpunkt, wo sich zeigte, wie gut die Vorbereitung
war. Langsam wurden die Beine schwer und schwerer, und
eine alte Marathonweisheit kam zum Tragen: ein Marathon
beginnt erst am Kilometer 30. Wer auf der ersten Hälfte
seine Kräfte nicht richtig eingeteilt hatte, bekam
es hier zu spüren.
Noch zehn Kilometer
Kilometer
32. Jetzt war es „nur“ noch ein 10km-Lauf, den bin ich
schon oft gelaufen, das müsste ich doch schaffen,
geht mir im Kopf herum. Seit einigen Kilometern ist
ein Scheuern im rechten Schuh dazu gekommen. Am besten,
die Gedanken irgendwie ablenken, sonst demotiviert man
sich selbst. Jetzt wird jeder Kilometer gezählt,
endlich, kurz vor Kilometer 35, eine weitere Verpflegungsstelle.
Um zu trinken bleibe ich kurz stehen, das macht sich
sofort in den Beinen bemerkbar. Stehen ist nicht so
gut, immer vorwärts, in Bewegung bleiben, denke
ich.
Kurz
hinter der Kampmannsbrücke schallt Musik herüber.
Hier steht ein letztes Mal ein Sprecher und feuert die
Läufer an. Wer so weit gekommen ist, sagt er, gibt
nicht mehr auf, der schafft auch die letzten sieben
Kilometer. Leider beginnt kurz danach noch ein leichter
Anstieg, der nach 3 ½ Stunden Laufen aber gar
nicht mehr so leicht ist. Aber auch der wird gemeistert.
Zwischendurch
schaue ich immer mal wieder auf die Uhr. Erstaunt stelle
ich fest, dass ich bis jetzt kaum langsamer geworden
bin.
Noch fünf Kilometer
Kilometer
37. Ich rechne mir aus, dass ich unter vier Stunden
bleiben könnte, wenn ich durchhalte, ...wenn ich
durchhalte...
Der Schmerz
in den Beinen nimmt immer mehr zu. Eigentlich könnte
ich doch stehen bleiben oder zumindest langsamer laufen,
denke ich. Nein, nicht aufgeben, das schaffst du auch
noch sagt die andere Stimme in mir. Gleich kommt Kilometer
38 – wo bleibt der eigentlich. Ich schaue wieder auf
die Uhr, es ist noch viel zu früh für Kilometer
38, also weiterlaufen.
Endlich,
da ist die Markierung, jetzt sind es noch vier Kilometer.
Da kommt auch schon der letzte Verpflegungspunkt, wieder
lasse ich mir Zeit, trinke eine Cola, das soll kurz
vorm Schluss noch einmal beflügeln. Mir verklebt
es nur den Mund, und die Kohlensäure ist auch nicht
so gut beim Laufen.
Weiter
geht es, jetzt habe ich noch drei Kilometer vor mir.
Noch zwei Kilometer
Vom Kilometer
40 habe ich unterwegs geträumt, habe gedacht, jetzt
hast du es so gut wie geschafft. Es sind aber noch einmal
mehr als 10min, die gelaufen werden müssen. Bei
Kilometer 41 kommt die Gabelung, die den Weg teilt,
für die, die noch eine Runde mussten und die, die
es gleich geschafft haben. Es geht jetzt direkt auf
den Regattaturm zu, der im Zielbereich steht. Langsam
werden es mehr Leute auf dem Weg, nicht nur Zuschauer,
auch viele Spaziergänger sind unterwegs. Einige
scheinen nicht mitbekommen zu haben, dass hier ein Marathon
läuft. Man muss aufpassen, niemanden umzurennen.
Ordner sind in diesem Bereich auch nicht zu sehen. Es
kann aber auch sein, dass ich das nur nicht mehr mitbekomme.
Noch 195 Meter
Kilometer
42. Endlich, das war der Punkt, wo ich wahrscheinlich
auch ins Ziel kriechen würde. Aber plötzlich
tragen meine Beine mich scheinbar mühelos. Auch
nach fast vier Stunden feuern die Zuschauer noch jeden
an. Der Sprecher im Einlaufbereich ruft meinen Namen,
glücklich reiße ich die Arme nach oben, jetzt
sind es nur noch 50m. Am Wegrand steht meine Familie
und klatscht Beifall. Dann laufe ich durchs Ziel. Geschafft,
meinen ersten Marathon erfolgreich gemeistert. Jetzt
stört es auch nicht mehr, dass jeder Muskel in
den Beinen schmerzt, das wird vergehen, der Marathon
bleibt.
©
Peter Hamann |